Pressemitteilung

Verfassungsschutz diffamiert die IGMG

28. Mai 2001

Der Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), Erbakan, sagte in einer heutigen Erklärung, dass seine Organisation seit Jahren von den Verfassungsschutzbehörden diffamiert und absichtlich diskreditiert wird.

„Wenn man über die Jahre die verschiedenen Verfassungsschutzberichte zur IGMG liest, liest man eine Menge Behauptungen, welche von dem Versuch in der Türkei, das laizistische Staatssystem zu stürzen und eines nach iranischem Vorbild zu errichten, bis zu der Behauptung, man wolle Muslimen durch Gruppenzwang solche Pflichten auferlegen, welche eine Einschränkung der in der Verfassung garantierten Grundrechte bedeuten. Keine einzige dieser plakativen Behauptungen wird auch nur durch ein einziges konkretes Beispiel belegt. Für alles müssen harmlose Befunde oder Beobachtungen, die nicht der IGMG zu zurechnen sind, hinhalten, welche im Zweifel dann durch unangebrachte Interpretationen hingebogen werden, sagte Erbakan.

Ein Beispiel hierfür sind die Bezugnahmen des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg, auf eine von der Gemeinde Esslingen durchgeführte Veranstaltung im vergangenen Herbst. Zu der Veranstaltung hatte die Gemeinde auch einen Redner, der sich zu der Evolutionstheorie äußerte, welche seiner Ansicht nach angeblich versage, reden lassen. Vom besagten Redner gibt es in der Türkei ein Buch in dem der Holocaust geleugnet wird. Weder der Redner, noch seine Bücher stehen in irgendeinem Verhältnis zur IGMG. Ausdrücklich distanzierte sich die Gemeinde in Esslingen sowohl von dem Redner, als auch von seinen Werken. Dieser Akt wird absichtlich übersehen.

Der Holocaust ist eine traurige Tatsache, und Teil der deutschen Geschichte, er wird von uns nicht nur nicht geleugnet, sondern in unserer Jugendarbeit eingehend behandelt, als ein Mahnmal für die schrecklichen Folgen von Rassismus und auch als Bezug zu den vielen ausländerfeindlichen und islamfeindlichen Straftaten in Deutschland. In unserer Mitgliederzeitschrift wird häufig auf den Holocaust bezug genommen. So lag uns auch der Vergleich der Folter- und Vergewaltigungslager in Bosnien mit den KZ`s der Nazis nicht fern. Wir verurteilten die jüngste Aktion der Taliban in Afghanistan, wonach Hindus sich mit einem gelben Stück Stoff zu kennzeichnen haben, als unerträgliche Maßnahme, die an die antisemitischen Exzesse der Nazis erinnert.

Bei den Verfassungsschutzbehörden ist Übermaß am Werk. Einzelbeobachtungen die allenfalls einzelne oder höchstens mal eine Gemeinde von mehreren Hundert zu verantworten haben, werden auf die gesamte Religionsgemeinschaft verallgemeinert. Distanzierungen und Richtigstellungen werden nicht wahrgenommen oder pauschal als Masche zur Beschwichtigung abgetan. Einzelbeobachtungen werden weder personell, noch räumlich, noch zeitlich begrenzt bewertet. Der Verfassungsschutz geht in der Manier eines Staatsanwaltes, der akribisch nach Belastungsmaterial sucht und massenhaft entlastendes und zu seiner These widersprüchliches Material unterschlägt, vor. Nicht ein einziges mal, findet eine Pressemitteilung der IGMG, ein Artikel in der Mitgliederzeitschrift „Milli Görüs‘, der nicht zum Konzept der vorhandenen Vorurteile passt, auch nur Erwähnung. Wenn man sich trotz alledem vergegenwärtigt wie dünn und wenig stichhaltig, dafür um so mehr auf Behauptungen und Interpretationen gestützt die Verfassungsschutzberichte daherkommen, kann man das Ausmaß des Übermaßes abschätzen.

Dennoch ändert sich beim Verfassungsschutz einiges, nämlich; Alte Argumentationslinien, wie etwa „man versuche das laizistische Staatswesen der Türkei abzuschaffen und durch ein Staatswesen nach iranischem Vorbild zu ersetzen‘ verschwinden. Sie verschwinden aber nicht, weil wir uns etwa in diesem Punkt geändert hätten, sondern weil die Position der IGMG, dass es in der Türkei keinen Laizismus (im Sinne einer weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates) gibt, sondern eine nach hiesigen Verfassungsnormen undenkbare Religionskontrolle und somit keine Religionsfreiheit gibt, eine Tatsache ist, die inzwischen die Spatzen von den Dächern pfeifen. Nie war die IGMG gegen einen Laizismus, sondern stets gegen die Unterdrückung der Religionsfreiheit, wie sie neben den Muslimen leider auch den Christen in der Türkei widerfährt. An die Stelle solcher, nicht mehr haltbarer Argumentationen treten nunmehr vermehrt neue Konstruktionen, wie etwa: „Im Wege des Gruppenzwanges sollen Mitgliedern Pflichten auferlegt werden, die eine Einschränkung der garantierten Grundrechte bedeuten‘. Wiederum ohne Belege, wird nun diese Behauptung erhoben. Worin besteht denn der Gruppenzwang bei uns? Etwa in unseren Gottesdiensten oder unseren religiösen Vorstellungen? Und vor allem welche Grundrechtsausübung welches Mitglieds haben wir je beschränkt, sind nicht wir diejenigen, die in Prozessen vor deutschen Gerichten zum dutzendfach wiederholten Male Grundrechte für die Muslime erstritten haben.

Der Verfassungsschutz bedient nicht nur offizielle türkische Positionen, sondern lässt sich anscheinend auch massiv von dort beeinflussen. Spuren dieser türkischen Beeinflussung findet man bei genauer sprachlicher Analyse der Publikationen der Verfassungsschützer. Dort tauchen dann plötzlich für den deutschen Sprachgebrauch so ungewohnte Wörter wie „rückwärtsgewand‘ auf. Diese Sprachverwendung mag im Deutschen ungewohnt sein, im Türkischen ist es die eins zu eins Übersetzung des Kampfbegriffes „Irtica‘ der kemalistischen Elite in der Türkei, mit dem fast jede Menschenrechtsverletzung gerechtfertigt wird. Es fällt einem in beiden Sprachen beheimateten Beobachter schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, dass es hier keine Textvorlagen von offizieller türkischer Seite gegeben hat.

Wo, so fragt man sich, sind eigentlich die harten Fakten die keiner weiteren Interpretation bedürfen, um die Verfassungsfeindlichkeit der IGMG zu belegen. Wo sind Äußerungen, Handlungen und Absichten gegen eines der Kerninhalte der freiheitlich demokratischen Grundordnung ? Wo sind Äußerungen gegen die Rechtmäßigkeit der Opposition, der Unabhängigkeit der Gerichte, die freie Presse, der Gewaltenteilung im Staate, die Menschenrechte ? Wo sind Bestrebungen, Äußerungen oder Handlungen die tatsächlich oder beabsichtigt ein Verfassungsorgan in seiner Auftragsausführung hemmt oder behindert ?

Wo die Verfassungsschützer beim Beleg der vermeintlichen Verfassungsfeindlichkeit der IGMG mit ihrem Latein am Ende sind, da weichen sie dann in das Repertoire des besorgten Gesellschaftspolitikers aus. Da wird dann auf einmal laut die „IGMG sei gegen Integration‘, die „IGMG sei gegen Assimilation, meine aber Integration‘. Seit wann ist der Verfassungsschutz eine Integrationsaufsichtsbehörde. Seit wann gehört Integration, mal abgesehen davon, dass bis heute keiner so recht gesagt hat was Integration ist, zu den Verfassungspflichten, und bedeutet deren wie auch immer geartete Verweigerung Verfassungsfeindlichkeit. Dies sei gesagt vor dem Hintergrund, dass wir sehr wohl für eine Integration sind, die nicht Assimilation bedeutet. Wir haben vieles für diese Integration getan, auf jeden Fall mehr als viele Politiker. Unsere jüngste Kampagne zur Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft, die man im türkischen Fernsehen sehen kann, sei hier nur als ein jüngster Beleg erwähnt.

Man fragt sich im Zusammenhang mit der Berichterstattung mancher Medien zur IGMG auch, was mit Teilen der Presse geschehen ist. Wie es kommt, dass die sonst kritische Presse, wenn es um die IGMG geht, die erkennbar dünn belegten Behauptungen einer nicht-unumstrittenen Exekutivbehörde wie des Verfassungsschutzes so einfach und unkritisch wiedergibt.

Integration ist eine schwierige Sache, für beide Seiten, aber sie hat eine Vorraussetzung, ohne die es bei bestem Willen nicht geht und das ist das Vorhandensein eines Dialogs. Dieser Dialog zwischen Muslimen und Politik fehlt fast vollständig. Wer etwas für Verständigung und Ausgleich tun will, der muss mithelfen diesen Dialog zu organisieren.

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