Bildung
Jugend-Umra 2011
24. Mai 2011igmg.de: Können Sie bitte zuerst einmal schildern, wie man auf die Idee kam, die Umra in dieser Weise in die Jugendarbeit einzubinden?
Ünalan: Eigentlich war das schon immer der Fall. Unsere Jugendlichen haben auch früher während der Hadsch und Umra als Helfer und Mitarbeiter bei den Vorbereitungen und bei der Durchführung mitgewirkt. Dadurch haben sie die Möglichkeit bekommen, entsprechend ihren Fähigkeiten bei der Betreuung der Pilger behilflich zu sein.Der eigentliche Grund für unser verstärktes Interesse ist aber folgender: Wir beobachten, dass sich mit einer neuen Generation von Jugendlichen auch ein anderes Verständnis von Religionspraxis entwickelt hat. Die jungen Männer und Frauen möchten nicht warten, bis sie alt sind, um die Pilgerfahrt anzutreten. So war das nämlich früher noch. Aus diesem Grund haben wir die Jugendarbeit auch auf die Umra ausgeweitet.
Gülbahar: Zudem hat sich auch das Urlaubsverständnis der jungen Muslime verändert. Unsere Großeltern haben ihre Sommerferien ausschließlich in ihrem Heimatort bei ihren Verwandten und Freunden verbracht. Dort hatten sie ihr Haus, an dem sie von Urlaub zu Urlaub weiterbauten. Sie wollten dort zu wohnen, wenn sie in Rente gehen. Unsere Eltern haben die wichtige Tradition des Verwandtenbesuchs fortgeführt und um kurze Aufenthalte in speziellen Ferienorten erweitert.
Wir hoffen, mit der Umra all dies zu verbinden. Die jungen Pilger können mit ihrer Familie und ihren Freunden die Umra-Reise antreten. Sie können ihre Gottesdienste verrichten und eine Reise zu den Wurzeln des Islams unternehmen. Dank der Möglichkeit des Zwischenstopps, etwa in der Türkei, können sie auch ihre Verwandten besuchen.
igmg.de: Was gehörte denn zu den Angeboten der IGMG-Jugend während der Umra?
Gülbahar: Zuerst einmal wurde unser gesamter Jugendvorstand sowie der Vorstand der Frauen-Jugendorganisation in die Umra-Aktivitäten eingebunden. Aber auch unsere Jugendleiterwaren dabei. Diese haben entweder innerhalb der einzelnen Pilgergruppen oder in der zentralen Organisation mitgewirkt.
Unser Ziel ist es, die Jugendlichen während der Umra erreichen zu können. Die Umra ist eine gute Gelegenheit hierfür. So können wir diese jungen Menschen kennen lernen, uns ihrer Sorgen annehmen und ihnen Perspektiven aufzeigen. Ein Sprichwort besagt, dass man, um jemanden wirklich kennenzulernen, entweder Geschäfte mit ihm machen oder zusammen mit ihm reisen soll.Deshalb haben wir versucht Plattformen anzubieten, bei denen die Jugendlichen uns und sich gegenseitig kennenlernen konnten. Wir haben uns in Mekka und Medina täglich vor der Moschee getroffen und kurze Vorträge gehalten. Am Abend sind wir gemeinsam zum Tawâf gegangen. Jeden Nachmittag waren je verschiedene Regionalverbände Gastgeber unserer DarulErkam-Gesprächszirkel, an denen hunderte Jugendliche teilgenommen haben.
Ünalan: Neben diesen Veranstaltungen erscheinen mir die persönlichen Kontakte sehr wichtig. Ich habe viele junge Freunde wiedergesehen, die ich zuvor bei meinen Besuchen in den einzelnen Regionalverbänden getroffen hatte. Ohne die die Umra hätte ich sie wahrscheinlich nicht so bald wiedergesehen.
igmg.de: Was glauben sie, haben die Jugendlichen während der Umra gelernt, das ihnen in ihrem zukünftigen Leben in Europa helfen könnte?
Ünalan: Zuerst einmal haben sie eine spirituelle Erfahrung gemacht. Die Umra – und noch mehr die Hadsch – ist eine Form der praktischen Erziehung. Die Umrundung (Tawâf) des „Hauses Allahs“ (Baytullâh) symbolisiert die Einheit Allahs. Alles und jeder dreht sich um Allah. Er ist das Zentrum alles Daseins, zu ihm werden wir zurückkehren. Das Ihrâm-Gewand symbolisiert die Nacktheit des Neugeborenen, aber auch das Leichentuch des Verstorbenen sowie das Erwachen nach dem Tod und die Versammlung aller Menschen am Tag des Jüngsten Gerichts.
Während man den Ihrâm trägt, darf man im wahrsten Sinne des Wortes keiner Fliege etwas zuleide tun. Dieser Zustand gilt es nach der Umra oder Hadsch zu bewahren. Darauf haben wir bei unseren Vorträgen immer wieder hingewiesen. Der
Ihrâm-Zustand ist nicht die Ausnahme, sondern soll zur Regel werden.Außerdem bietet die Umra die Möglichkeit, sich von einem Teil seiner Sünden zu reinigen. Der Pilger erneuert sein Versprechen, das seine Seele Allah noch vor der Erschaffung der Welt gegeben hat. Er kann, ja soll nach der Umra einen neuen Anfang machen.
Gülbahar: Wir möchten, dass unsere Jugendlichen ihre Zeit in bester Weise verbringen. Die Umra soll eine unvergessliche Reise werden. Zugleich ist es auch unser Wunsch, dass sich unsere Jugend durch die Umra ihrer Religion und persönlichen Verantwortung vor Allah bewusst werden.
Aber auch Gemeinschaft ist ein wichtiges Schlüsselwort. Denn all dies geschieht in der Gemeinschaft. Den meisten Jugendlichen wird erst hier bewusst, wie vielfältig die muslimische Gemeinschaft (Umma) ist. Sie lernen, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, den Islam gemäß dem Koran und der Sunna zu leben.
igmg.de: Im Koran wird ja darauf hingewiesen, dass man reisen und die Welt sehen soll.
Ünalan: Richtig. Hinzukommt, dass die Umra und Hadsch einen immensen Vorteil haben. Man braucht nur nach Mekka oder Medina zu reisen und kann auf Muslime aus der ganzen Welt treffen. Was mir hier fehlt sind Plattformen und Begegnungsmöglichkeiten, um den Kontakt unter den muslimischen Jugendlichen aus verschiedenen Teilen der Welt zu fördern. Wenn man ins Gespräch kommt wird man nämlich merken, so vermute ich, dass uns dieselben Dinge beschäftigen. Man wird aber ebenfalls feststellen, dass eine große Vielfalt herrscht, was die Vorstellungen und Perspektiven angeht.
igmg.de: Multikulti also?
Ünalan: Ja, genau. Die Muslime gehen hiermeistens sehr gelassen miteinander um. Wenn jemand in der Menge jemandem auf den Fuß tritt oder auch nur streift, dreht er sich um und entschuldigt sich. Dabei ist das bei einer so großen Menschenansammlung kaum vermeidbar. Auch theologische und kulturelle Unterschiede spielen kaum eine Rolle. Hier befinden sich alle Muslime im „Haus Allahs“, sie umrunden dieselbe Kaaba und beten nebeneinander, egal ob sie aus Kambodscha, Indien, Kolumbien, von den Komoren oder aus Deutschland kommen und egal, nach welcher Rechtsschule sie beten.
igmg.de: Gibt es denn gar keine Probleme?
Gülbahar: Doch, natürlich gibt es die. Allein das Reisen und der Aufenthalt bringen schon einige Schwierigkeiten mit sich. Es ist nicht einfach, sich an die „arabische Art“ zu gewöhnen. Vieles widerspricht unserem Verständnis und unserer Gewohnheit. Außerdem ist der logistische Aufwand – bei der Hadsch noch mehr als bei der Umra – immens. Deshalb kommt es oft zu Verzögerungen. Das einzige, was dann weiterhilft ist Geduld.
igmg.de: Vielen Dank für die Geduld und das Gespräch.