Pressemitteilung
Generelles Kopftuchverbot würde Diskriminierung weiter befeuern
01. Juni 2016„Kopftuchverbote schließen muslimische Frauen bereits heute systematisch von der gleichberechtigten Teilhabe aus. Es wäre ein Desaster, wenn diese Praxis vom Europäischen Gerichtshof auch noch legitimiert werden würde“, so Hatice Şahin, Vorsitzende der Frauenorganisation der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş, anlässlich des Schlussantrags der Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof, Juliane Kokott. Sie hatte in ihrem Schlussantrag ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz generell für zulässig erklärt. Ein Verbot könne zwar eine mittelbare Diskriminierung darstellen, sie sei jedoch zulässig. Hatice Şahin weiter:
„Die Einschätzung der Generalanwältin in ihrem Schlussantrag ist in vieler Hinsicht nicht nachvollziehbar. Sie stellt den Grundsatz des Diskriminierungsschutzes auf den Kopf und trifft faktisch ganz überwiegend muslimische Frauen mit Kopftuch. Die verfassungsrechtlich geschützte Religionsfreiheit wird hier einer ‚weltanschaulichen Neutralität im Betrieb‘ gegenübergesetzt, das keinerlei Verfassungsrang hat.
Eine solche Entscheidung würde die Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch weiter verschärfen. Bisher konnten Betroffene sich unter Bezugnahme auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gegen diese Art der Diskriminierung wehren. Durch zahlreiche Urteile wurden die Vorschriften inzwischen konkretisiert. Ein Urteil im Sinne des Schlussantrags würde die Verunsicherung neu Entflammen, da auch die Generalanwältin eingestehen muss, dass in jedem Falle eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werden müsse. Für die Praxis sind zahlreiche weitere Rechtsstreits vorprogrammiert.
Es ist zu erwarten, dass Arbeitgeber eine Entscheidung im Sinne der Generalanwältin unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Neutralität missbrauchen werden. Dieser Effekt war schon nach der ersten Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts und den darauf folgenden Kopftuchverboten in den Ländern zu beobachten. Bis heute werden Frauen mit Kopftuch im Arbeitsleben diskriminiert, und zwar schon beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Zahlreiche Studien belegen, wie kontraproduktiv das ist. Sie werden an den Rand der Gesellschaft und in die finanzielle Abhängigkeit gedrängt. Dabei brauchen wir aktive, selbstbewusste und kompetente Frauen auf allen Ebenen dringender denn je – gerade im Arbeitsleben.“