Gemeinschaft
Die „Mutter der Uiguren“ Rebiya Kadeer zu Besuch bei der IGMG
20. Oktober 2009Die „Mutter der Uiguren“ zeigte sich im Gespräch mit dem Generalsekretär der IGMG zutiefst traurig darüber, dass ihr Volk, das seit Jahrzehnten Ungerechtigkeiten erfährt, wie Terroristen behandelt wird. Sie würde oft gefragt, wie viele Terroristen es unter ihnen gibt, erklärt Kadeer; „Es gibt keinen einzigen Terroristen“, ist ihre entschiedene Antwort. Sie berichtet vielmehr von der chinesischen Repression, der Zerstörung des kulturellen Lebens der Uiguren, den Vertreibungen und der massiven Einwanderung von Han-Chinesen, denen das Land der vertriebenen Uiguren von der Regierung zugewiesen wird.
Erst nach den Ereignissen vom fünften Juli habe es ein verhältnismäßig großes Echo in der Welt gegeben. Aber leider wenige effiziente Reaktionen; mit Ausnahme von der Türkei, erklärt Kadeer. Am Rande des G8-Gipfels bezeichnete der türkische Ministerpräsident die Vorfälle in China als „Greueltaten“ und „Genozid“. Kadeer ruft die Staaten auf, dem Beispiel der Türkei zu folgen. Die internationale Staatengemeinschaft müsse den Druck auf China erhöhen, um die seit 60 Jahren bestehende Unterdrückung der Uiguren, Tibeter und anderer religiöser und ethnischer Minderheiten durch das autoritäre Regime zu beenden.
Zu der Behauptung, dass die Türkei ihr Visumsantrag abgelehnt habe, sagte Kadeer, dass das so nicht stimmt. Sie würde ohne Weiteres ein Visum erhalten, wenn sie auch ein Visumsantrag gestellt hätte. Nur habe die türkische Regierung in der Zeit Gespräche mit China geführt, die sich bereit erklärt haben, die Situation in Ostturkestan mit der Türkei zu erörtern. „Sie verlangten jedoch, mich nicht einzubeziehen. Aus diesem Anlass hat man mich gebeten, meinen Visumsantrag zu verschieben.“ Es gehe schließlich um die Zukunft von Ostturkestan und nicht um ihre Person, so Kadeer.
Rebiya Kadeer kämpft für das Selbstbestimmungsrecht der Uiguren
Kadeer betont, dass sie nur die Menschenrechte und ihre Rechte aus der chinesichen Verfassung einfordert; sie kämpft für das Selbstbestimmungsrecht ihres Volkes. „Wir wollen unsere Sprache sprechen und unsere Kultur leben“, betont Kadeer. Sie fordert, dass die Zwangsumsiedlung von Uiguren in andere Teile des Landes und die Einsiedlung von Han-Chinesen in die Uiguren-Provinzen gestoppt wird. „Die meisten in Europa wissen nicht, dass seit dem Jahre 2006 über 300.000 junge Frauen aus Ostturkestan verschleppt und zum Teil zur Prostitution gezwungen wurden.“ Auch sei weitgehend unbekannt, dass nur in Ostturkestan die Todesstrafe für politische Gefangene ausgesprochen wird. „Seit Juli 2009 sind 39.000 Menschen aus politischen Gründen festgenommen worden“, sagte Kadeer.
Der Weltkongress der Uiguren arbeite mit Organisationen eng zusammen, erklärt ihre Vorsitzende, die daran interessiert sind, die menschenverachtenden Umstände zu verbessern, unter denen die Bevölkerung von Ostturkestan leiden. Dies erreiche man nur mit friedvollen und sanftmütigen Aktionen, ist sich Kadeer sicher. Der Wetkongress vertritt die gemeinsamen Interessen der Uiguren in Ostturkestan und im Exil.
Chinas Staatsfeindin Nr. 1
Rabia Kadeer ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau in China gewesen, sogar eine Abgeordnete im Kongress. Beim Frauenkongress der UN im Jahre 1995 in Peking gehörte sie der chinesischen Delegation an. Sie nutzte ihre Position im nationalen Volkskongress, um in Peking vor der Regierung und den Abgeordneten über die katastrophalen Zustände zu sprechen, unter denen die Uiguren leben müssen. Auch hat sie eine Audienz beim chinesischen Präsidenten Jiang Zemin bekommen. „Das kommunistische Regime hat versucht, mich als Marionette zu missbrauchen, um ihre brutale Unterdrückung der uigurischen Muslime zu legitimieren“, erinnert sich Kadeer heute. Als sie sich jedoch widersetzte, landete sie für sechs Jahre ins Gefängnis und die Regierung erklärte sie zur Staatsfeindin Nr. 1.
Unliebsam ist der chinesischen Regierung auch, dass sie ihren Reichtum dafür einsetzt, ihr Volk zu unterstützen. Mit ihrem Projekt „Tausend Mütter“ hat sie etwa den sozialen Status vieler Frauen verbessert und ihre wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten gefördert. In kleinen Gruppen sollten Geschäftsfrauen ausgebildet werden, die sich gegenseitig unterstützen, um später mit dem wirtschaftlichen Erlös, Schulen zu gründen, Künstler zu fördern und Aufklärungsarbeit zu leisten gegen Drogenhandel, sowie Kindern und Frauen Schutz zu bieten, die von Kinder- und Frauenhandel bedroht werden. Das Projekt bekam so viel Aufschwung, dass sogar Frauen der anderen Minderheiten sich angeschlossen haben, berichtet sie.
Kadeer gründete bis zu ihrer Verhaftung im Jahre 1999 zudem private Schulen und finanzierte den Bildungsweg von uigurischen Kindern, die ansonsten finanziell dazu nicht in der Lage wären.
Als Kongressabgeordnete forderte Kadeer stets die Minderheitenrechte sowohl für die Uiguren als auch für die Tibeter ein. China verschärfte jedoch seine Politik in Ostturkestan. Als sie 1997 eine Rede vor dem politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes hielt, in der sie die Politik der chinesischen Regierung in der Uiguren-Provinz scharf verurteilte, wurde sie aus dem Volkskongress ausgeschlossen. Im Jahre 1999 verurteilte man sie schließlich wegen Weiterverbreitung von Staatsgeheimnissen zu acht Jahren Gefängnis. Sie hatte amerikanischen Abgeordneten Zeitungsartikel für ihren Mann übergeben. Im März 2005 wurde sie auf internationalen Druck hin jedoch vorzeitig entlassen. Kadeer folgte ihrem Mann daraufhin ins Exil. Fünf ihrer elf Kinder sind jedoch noch in China und werden stets als politisches Pfand für jede noch so kleine Äußerung ihrer Mutter bestraft. Drei ihrer Söhn befänden sich derzeit im Gefängnis und die anderen beiden in Gewahrsam. Zusammen mit Alexandra Cavelius hat sie ihre dramatische Lebensgeschichte unter dem Titel „Die Himmelsstürmerin: Chinas Staatsfeindin Nr. 1 erzählt aus ihrem Leben“ veröffentlicht. (sa)