Gemeinschaft
Das Opferfest in Nigeria III
30. Dezember 2009Einige werden meinen, einen Afrikaner zu kennen, weil man mit einem Farbigen beim Freitagsgebet allwöchentlich in derselben Gebetreihe, den Saf, steht. Dabei fragen die Wenigsten woher dieser Bruder aus Afrika kommt. Womöglich weil wir annehmen, dass in Afrika mehr oder weniger eine homogene Gesellschaft lebt. Dabei ist Afrika Vielfalt, vielfältiger als Europa. Die vielen Volkssprachen und Volksgruppen belegen diesen Reichtum; mitunter eine Erkenntnis, die man dort, vor Ort in Afrika, erfährt. Auch derjenige, der nie zuvor in Afrika war, kann diese Vielfalt sehen, wenn er in unterschiedlichen Gebieten in Afrika unterwegs ist. Es macht sich allein schon in der Kleidungsart bemerkbar.
Als wir am zweiten Festtag in den Bundesstaat Plateau State gefahren sind, fiel uns gleich auf, dass sich die Leute hier im Gegensatz zu Kano europäisch kleiden. In Jos, der Hauptstadt von Plateau State, leben hauptsächlich Christen. Bruder Muhammad, der Generalsekretär eines islamischen Zentrums in der Stadt, berichtete uns von Diskriminierungen und Benachteiligungen, die die muslimische Minderheit dort erfährt. Letztes Jahr seien bei blutigen Unruhen sogar mehr als 150 Menschen getötet worden. Deren Leichen sowie die Verletzten seien in die Moschee gebracht worden. Sie und ihre Angehörige sollten mit den Opfertiergaben nun bedacht werden; deshalb waren wir hunderte Kilometer gefahren. Doch nicht nur Wohnhäuser von Muslimen und Moscheen wurden in Brand gesetzt, sondern auch Kirchen. Es war deshalb naheliegend, als eine islamische Religionsgemeinschaft aus Europa, hier in Jos unsere Erfahrungen im Dialog mit Christen und Andersgläubigen mit unseren Brüdern zu teilen und vermittelnd tätig zu werden. Doch dafür braucht es Zeit; in den zehn Tagen während der Opfertierkampagne ist eine solche Aufgabe nicht zu schaffen. Wir haben von unseren guten Erfahrungen berichtet und den muslimischen Vertretern nahegelegt den Kontakt zu suchen – nicht nur in Krisenzeiten. In Deutschland soll nun nach Möglichkeiten gesucht werden, die doch fortgeschrittenen Beziehungen zwischen Muslimen und Christen auch in Nigeria zu etablieren.
Auf dem Hin- und Rückweg sind wir über den Bundestaat Kaduna gefahren und haben dabei mehrere Dörfer besucht. Die Opfertiere wurden schon am Vortag in die Dörfer transportiert. Die Dorfgemeinden warteten aber mit der Schächtung und der Verteilung des Fleisches, bis unsere Delegation dort ankam. Eines dieser Dörfer war Tudun Klada. Dort lebten sowohl Muslime als auch Christen friedlich zusammen. „Wir feiern das Opferfest zusammen mit unseren christlichen Nachbarn“, erzählte uns der Ortsvorsteher. Im muslimischen Dorf Goguwa, unweit von Tudun Klada entfernt, gab es allerdings andere Töne zu hören. Im Haus des Ortsvorstehers befanden sich 29 Frauen mit ihren Kindern, die aus einem benachbarten christlichen Dorf fliehen mussten, weil sie zum Islam konvertiert seien. Die Dorfgemeinde war dabei ihnen ein neues Heim zu errichten.
Empfang zum Opferfest
Am dritten Festtag hatte der Gouverneur unsere Delegation zu einem Empfang im Parlament von Kano State eingeladen. Wir haben uns zusammen mit diplomatischen Vertretern anderer Länder die offizielle Feier sowie den Festzug angesehen. Ähnlich wie bei den Feierlichkeiten am ersten Festtag hatte sich auch an diesem Tag eine große Menschenmenge vor dem Parlament gesammelt und jubelten dem Festzug zu. Alle Volksgruppen waren dort vertreten. Zehntausende sollen es gewesen sein, die anschließend durch die Straßen von Kano gelaufen sind. Man merkt als europäischer Muslim schnell, das Opferfest hat hier in Nigeria eine ganz andere Bedeutung. Es ist der Höhepunkt des Jahres, das Mega-Event der „einfachen“ Leute. In Europa ist Feiern etwas Selbstverständliches und Alltägliches; in weiten Teilen von Afrika ist es für Viele eher die Ausnahme, die die Regel bestätigt, und zwar die des Überlebenskampfs.
An diesem Tag haben wir noch eine Reihe weiterer Dörfer, Gemeinden und Orte in der Stadt aufgesucht, in denen die Opfertierkampagne durchgeführt werden sollte. Wir hatten etwas Zeitdruck. Bis zum Asr-Gebet sollten nämlich alle Opfertiere geschächtet werden. Einen sehr herzlichen Empfang bereiteten uns etwa die Bewohner eines Waisen- und Witwenhauses vor. Mit Lobgesängen wurden wir in die Empfangshalle geführt. Jedes einzelne Waisenkind gab uns die Hand, jeder einzelne von ihnen wollte ein Foto mit uns haben. Wie Stars durften sich aber nur zwei von uns fühlen, Mustafa Okumus und Adem Yigit hatten ein arabisch-türkisches Lobgesang vorgeführt. Ob sie mit soviel Jubel in ihren Ortsgemeinden in Deutschland rechnen können? Unterdessen war unser Delegationsleiter, Okan Ücüncü, damit beschäftigt die Fragen von Journalisten zu beantworten. Überregionale Zeitungen, Radiosender und verschiedene Fernsehsender haben über unsere Kampagne berichtet.
„Ihr führt mit der Opfertierkampagne die Sunna des Propheten fort“
Vor unserer Abreise nach Deutschland haben uns der Emir von Kano und der Gouverneur jeweils zu einem Essen eingeladen, um unserer Gemeinschaft ihren Dank auszusprechen. Im Emirs Palast hat uns der Senior Counciler Alhaji Abbas Sanusi empfangen. Sanusi betonte, dass die alljährliche Opfertierkampagne der IGMG eine wichtige islamische Tradition sei, die unbedingt fortgeführt werden müsse. „Unser Prophet hat zum Opferfest stets zwei Tiere geschächtet, um den Einen gänzlich der Umma zu übergeben. Heute führt ihr diese Sunna fort. Möge Allah cc. euren Dienst annehmen und euch dafür belohnen.“ Er habe das erste Mal in London von der Opfertierkampagne erfahren und daran teilgenommen. Sanusi sicherte unserer Delegation seine Unterstützung zu. Insbesondere im Bildungsbereich müsse in Kano eine Reihe Projekte gestartet werden.
Der demokratisch gewählte Gouverneur von Kano, Ibrahim Shekarau, informierte sich sehr ausführlich über die Arbeit der IGMG. Die Opfertierkampagne bezeichnete er als eines der wichtigsten Projekte, die das Bewusstsein einer Umma in der islamischen Welt fördert. Diese Arbeit sei sogar wichtiger als der Gottesdienst, so Shekarau. „Ich möchte diese Gemeinschaft der Muslime, die die frohe Botschaft des Propheten seit 25 Jahren in über 70 Ländern verkündet, näher kennenlernen“, so Shekarau abschließend.