Gemeinschaft
Abschluss der Opfertierkampagne auf den Komoren
27. Dezember 2007Für ein Land, in dem Pünktlichkeit keine große Rolle spielt, treffen wir uns recht pünktlich mit den Vertretern der Regionen, in denen wir die Opfertierkampagne durchzuführen beabsichtigen. Ahmet und ich versuchen, ihnen unser Vorgehen und unsere Prinzipien bei der Vorbereitung und Verteilung der Opfertiere näherzubringen. Am nächsten Morgen händigen wir ihnen die ihnen zugeteilten Rinder aus.
Nach einigen Besorgungen besuchen wir die Zentrale der Partei „Front Nationale pour la Justice (FNJ)“, wo uns die Vizepräsidentin des Ministeriums für Gesundheit uns Solidarität empfängt. Sie ist gleichzeitig ein aktives Mitglied der Partei. Einerseits ist nicht zu übersehen, dass es viele Doppelbesetzungen gibt, was auf den Mangel an qualifiziertem Personal hinweist und andererseits fällt positiv auf, dass überraschend viele Frauen in und für die Ministerien arbeiten. Dort treffen wir auch einen Dozenten der Universität Moronis, ein Ratsmitglied der Partei, mit dem wir über die Unterschiedlichkeit der Situation als Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft der Muslime auf den Komoren und in Europa diskutieren. Dieses Thema mussten wir des Öfteren zur Sprache bringen, da die Menschen hier annehmen, dass ihre europäischen Glaubensgeschwister viel Geld und wenig Probleme haben. Wir versuchen darzulegen, dass die Muslime in Europa eine Minderheitsgesellschaft sind und mit diversen Problemen als Minderheit, Migranten und Muslime zu kämpfen haben. Trotz all den zum Teil fundamentalen Schwierigkeiten glauben die Muslime in Europa – und vor allem die IGMG – ihren Glaubensgeschwistern in der Welt beistehen und in ständigem Kontakt mit ihnen sein zu müssen.
Unter den wenigen offiziellen Interessenverbänden des Landes befindet sich eine aus verschiedenen Vereinen zusammengesetzte Föderation, die sich für die Rechte behinderter Menschen einsetzt und zu dessen Gunsten wir ein Opfertier schächten lassen. Die Vorsitzende des Vereins in der Hauptstadt hat uns eingeladen, ihre Vereinsräume, ein einstöckiger noch im Bau befindlicher Rohbau, der aber schon genutzt wird, zu besichtigen und einige Mitglieder kennenzulernen. Die studierte Juristin aus Kuwait arbeitet in der Abteilung für Menschenrechte des Ministeriums für Islamische Angelegenheiten und scheint den Verein recht gut organisiert zu haben, da sie uns eine detaillierte Liste der behinderten Menschen auf Grande Comore vorlegen kann. Als Grund für die vielen Behinderungen – zumeist Anomalien der Körperglieder – nennt sie die fehlende rechtzeitige medizinische Versorgung bzw. Operation. Ein Hospital, dass wir besucht haben, und das zwar vom Staat errichtet, aber seit einiger Zeit sich selbst überlassen wurde, scheint die fehlende medizinische Behandlungsgrundlage zu bestätigen. Sich selbst überlassen heißt konkret, dass die Ärzte und Schwestern ihre Gehälter dazu verwenden, die Ausgaben zu decken, soweit dies möglich ist.
In meinem Reiseführer lese ich, dass „es sich bei der Bevölkerung um ein vielschichtiges Gemisch aus afrikanischen und arabischen Einwanderern handelt. Daher unterscheiden sich auch die einzelnen Inseln in ihren Sitten und Bräuchen voneinander. Während Grande Comore und Anjouan am stärksten arabisch-islamisch geprägt sind, dominiert auf Mohéli die afrikanische Bevölkerung.“ Dem kann ich nur zustimmen. Dies kann man beispielsweise an der Kopfbedeckung der Frauen festmachen, die den Sinn dieses Gebotes infrage stellt. Unter anderem an dieser Art und Weise kann man – so meine ich – ihre Einstellung zur Religion festmachen. Die Komoraner sind ein traditionsgebundenes Volk, was wahrscheinlich für die meisten Völker Afrikas zutrifft. Die traditionellen knallbunten Tuchkleider der Frauen, die Dschallabijjas der Männer und auch der Glaube an Geister in Verbindung mit Magie und Wahrsagerei, was seinen Ursprung in altafrikanischen Vorstellungen haben dürfte, sprechen dafür. Der Rezitation des Korans wird große Bedeutung beigemessen, weshalb fast jeder Komoraner den gesamten oder einen größeren Teil des Korans in bester Weise vortragen kann. Umso erstaunlicher ist die Ausblendung der Sunna des Gesandten Gottes. Beispielsweise werden die Sunna-Gebete in den meisten Fällen nicht verrichtet und auch der Gruß scheint nicht sehr verbreitet zu sein.
Autonome Inesel Mohéli
So nennt sich die kleinste und noch ärmere Insel des Staates Komoren. Zwei Tage vor dem Opferfest, das hier am Freitag begangen wird, begeben sich Maroine und ich auf die Insel, auf der etwa 40.000 Menschen leben. Ahmet bleibt auf Grande Comore, um die letzten Vorbereitungen zu treffen, ein Interview für die Zeitung zu geben und die Durchführung der Opfertierkampagne zu überwachen. Da wir sehr wenig Zeit haben, treten wir unverzüglich mit dem Ministerium für Islamische Angelegenheiten in Kontakt. Freundlicherweise oder besser zu unserem Glück wir uns ein Fahrzeug des Präsidenten Mohélis sowie einer seiner Fahrer zur Verfügung gestellt, denn ohne eine solche Fahrgelegenheit ist es fast unmöglich, ein solches Vorhaben zu bewerkstelligen. Wir erklären ausführlich, weshalb wir hier sind und in welcher Art und Weise wir unsere Kampagne durchführen möchten. Nach einigen Beratungen beschließen wir, fünf oder sechs – je nach Kaufpreis – Rinder in Bongoma, einem Ort nahe Foumboli, der Hauptstadt der Insel, zu schächten und sie anschließend in vier Bestimmungsorten zu verteilen.
Am nächsten Tag kaufen wir fünf Rinder. Dies hört sich viel einfacher an, als es ist. Da auf der Insel keine Viehhaltung betrieben wird, haben wir für diese Aufgabe nahezu zehn Stunden aufbringen müssen, wobei wir auch die begünstigten Orte der Kampagne besichtigt haben. Nebenbei begleiten wir telefonisch die Anfertigung der Listen der bedürftigen Menschen in diesen Regionen.
Auf Mohéli verstärkt sich bei mir der Eindruck, dass sich die Menschen auf den Komoren nicht sehr viele Gedanken um ihre Zukunft machen, geschweigedenn etwas gegen ihre Situation unternehmen. Sie scheinen mit ihrer Lage nicht zufrieden zu sein, doch nehmen sie sie stillschweigend hin. Jedoch nicht weil sie genügsam sind oder ihr „Schicksal“ einfach nur hinnehmen, sondern, weil ihnen die Perspektive fehlt. Und genau hier liegt die – zumindest für dieses Land – eigentliche Chance unserer Opfertierkampagne: 1-2 kg Fleisch sind schnell aufgebraucht, doch dieselbe Perspektive zu teilen, einen Aktionismus zu entwickeln, ein Bewusstsein für die Probleme der Menschen zu besitzen und vor allem Verantwortlichkeit zu fühlen, bedeutet viel mehr.
Am Tag des Opferfestes lassen wir die Tiere schächten. Auf den Komoren scheint es keine festen Traditionen an diesem Tag zu geben. Nicht nur, dass die Insel Anjouan entgegen der offiziellen Verlautbarung der Bundesregierung das Fest einen Tag früher begeht, sogar in den Moscheen einer Stadt oder Region wird das Festtagsgebet zu verschiedenen Uhrzeiten verrichtet. Unter nüchterner Teilnahme beobachten die Menschen die Opferung der Tiere. Dass wir einige Süßigkeiten verteilen und Fotos schießen, zieht für wenige Minuten die Aufmerksamkeit der Kinder auf uns.
Nach Abschluss der Verteilung treffen wir den Präsidenten der Insel, Mohamed Ali Said, bedanken uns für das zur Verfügung gestellte Fahrzeug und loben den Einsatz seiner Administration. Der Präsident zeigt sich erfreut und fragt, ob die Kampagne im nächsten Jahr fortgesetzt werden wird, was ich bejahe.
Doch auch das Wohlwollen des Präsidenten kann uns die fünfstündige Verspätung unseres Fliegers nicht ersparen. So treffen wir nicht früh genug auf Grande Comore ein, um Ahmet bei der Durchführung der Kampagne auf dieser Insel behilflich zu sein, so dass Ahmet – mit einigen Schwierigkeiten – aber ohne Abstriche, die Schächtung und Verteilung der Tiere an den vier Bestimmungsorten leiten muss.
Am Samstag begleiten wir noch die Durchführung der Schächtung zugunsten des Vereins behinderter Menschen und verabschieden uns bei einem gemeinsamen Essen von den Mitarbeitern des Ministeriums für Islamische Angelegenheiten. Maroine begleitet uns bis zum Flughafen und verabschiedet uns ebenfalls. Unsere Rückreise führt uns wieder über Uganda, wo wir uns mit unseren Freunden – die die Kampagne in Uganda betreut haben – treffen, um am folgenden Tag die Reise in die Heimat nach Deutschland anzutreten.
Ali Mete