Pressemitteilung

Gemeinsame Presseerklärung der Verbände

08. Februar 2006

Wir, die unterzeichnenden Organisationen und Verbände vertreten die türkeistämmige und muslimische Bevölkerung in Deutschland auf verschiedenen Ebenen. Obwohl wir in diesem Jahr den 45. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei feiern werden, müssen wir mit großer Besorgnis feststellen, dass das Bild von türkischen Migranten, die seit Jahrzehnten zum Gemeinwohl in Deutschland beigetragen haben, heute mehr denn je negativ besetzt ist.

Während es noch vor einigen Monaten die in vielen Bereichen der Gesellschaft aufgegriffenen – jedoch bedauerlicherweise zum großen Teil schlichtweg oberflächlichen und pauschalisierenden – Debatten über Ehrenmord und Zwangsheirat waren, die die gängigen Stereotype über Muslime stärkten, sind es heute die Diskussionen rund um den verfassungswidrigen Baden-Württembergischen Gesinnungstest.

Die derzeit vollzogene Gewissensprüfung verstößt in mehrfacher Hinsicht gegen das Grundgesetz und damit gegen die Grundlagen des gesellschaftlichen Miteinanders. Dadurch, dass nur Muslime diesem Test unterzogen werden, wird unterstellt, dass allein das Bekenntnis zum Islam ein Sicherheitsrisiko darstellen könnte, und Muslime werden somit ausgegrenzt. Darüber hinaus werden in diesem Fragebogen in bisher beispielloser Form Vorurteile über den Islam reproduziert und massiv in die Privat- und Intimsphäre sowie die Gewissens- und Meinungsfreiheit der Befragten eingegriffen.

Es wird verstärkt deutlich, dass sich Migrationspolitik in Deutschland, trotz des seit mehreren Jahrzehnten andauernden Zusammenlebens, nach wie vor in großem Maße auf Vorurteile stützt. Dass es in Deutschland immer noch möglich ist, durch Wiederholung bestimmter Klischees Fakten zu schaffen und Minderheiten auszugrenzen, ist in höchstem Maße alarmierend. Die mitunter verlautbarten Forderungen bezüglich einer Deutschpflicht auf Schulhöfen sowie die aus diesem Anlass zum Ausdruck gebrachten Ressentiments gegenüber türkischen Migranten veranschaulichen dies auf eine beklemmende Art und Weise.

Als Vertreter der türkeistämmigen und muslimischen Bevölkerung Deutschlands bemühen wir uns in unserer täglichen Arbeit um den Dialog und um den gesellschaftlichen Frieden. Auch in unserer sozialen Arbeit leisten wir unseren Beitrag zur Integration in die deutsche Gesellschaft. Umso mehr sind wir entsetzt, wenn in der gesellschaftspolitischen Diskussion Muslime stigmatisiert und unsere Integrationsbemühungen zunichte gemacht werden.

Daher fordern wir die Landesregierung von Baden-Württemberg auf, den verfassungswidrigen Gesinnungstest unverzüglich zurückzuziehen.

Wir fordern alle demokratischen Kräfte auf, sich gegen den Gesinnungstest für Muslime einzusetzen und damit für den Schutz unserer Verfassung einzutreten.

Wie sehr religiöse Gefühle gläubiger Muslime in öffentlichen Diskussionen missachtet werden können, zeigen auch die in verschiedenen Zeitungen veröffentlichten Prophetenkarikaturen. Wir, die Vertreter der türkeistämmigen und muslimischen Bevölkerung, lehnen die gewaltsamen und unangemessenen Reaktionen seitens einiger Muslime auf die Karikaturen eindeutig ab. Gleichzeitig stellen wir uns entschieden gegen die bewusste Verletzung religiöser Gefühle und die Verunglimpfung von Religion. Wir rufen zu einem respektvollen Umgang mit den religiösen Empfindungen gläubiger Muslime auf.

Integration kann nur gelingen, wenn Muslime als integraler Bestandteil der Gesellschaft geachtet werden und eine ganzheitliche Integrationspolitik gemeinsam mit den Vertretern der Migranten entwickelt wird.

Es gilt, eine weise und zukunftsträchtige Politik zu gestalten, die der Vielfalt und Pluralität unserer Gesellschaft gerecht wird und in der auch die Muslime als Bereicherung angenommen werden.

Unterzeichner:

ABAF – Avrupa Ehli Beyt Alevi Federasyonu
ATB – Verband der türkischen Kulturvereine e.V. in Europa
ATIB – Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa e.V.
Cem Stiftung Europa Koordinator
DITIB – Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.
ETU – Europäische Türkische Union
Hür-Türk – Deutsch-Türkischer Freundschaftsverband
IGMG – Islamische Gemeinschaft Milli Görüs
Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland
LTD – Die Liberale Türkisch-Deutsche Vereinigung
MÜSIAD – Bundesverband der Vereine Unabhängiger Industrieller und Unternehmer e.V.
RTS – Rat der türkeistämmigen Staatsbürger
TIDAF – Bundesverband Türkisch-Deutscher Unternehmervereine in Deutschland
Verein für Demokratie in Europa
VIKZ – Verband Islamischer Kulturzetren e.V. Köln)
ZMD – Zentralrat der Muslime in Deutschland

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