Gemeinschaft
9. KFÖ-Treffen: Die IGMG im Fokus der Öffentlichkeit
04. Januar 2012Am Samstag kamen die KFÖ-Teilnehmer zuerst in ihren Workshops zusammen. Zum letzten Mal trafen sich die Workshops „Öffentlichkeitsarbeit in der Moschee“, „Medien in der Öffentlichkeitsarbeit“ und „Texte in der Öffentlichkeitsarbeit“ in gewohnter Weise.
Nach einer Pause folgte ein Erfahrungsbericht der KFÖ-Teilnehmerin Kevser Erol vom Projekt „Secularism and Religions: Working Together for a Common Europe“ in Budapest, welches von dem Ecumenical Youth Council in Europe (EYCE) und Forum of Muslim Youth and Student Organisations (FEMYSO) in Kooperation mit dem Council of Europe (CoE) organisiert wurde.
Da es sich bei dem aktuellen Treffen um das vorletzte handelt, wurde den Kursteilnehmern Gelegenheit gegeben, sich an einer der Arbeitsgruppen zu beteiligen. In den AG's wurde etwa beraten, wie ein Jahrbuch aussehen sollte, was man zum Abschluss des Kurses veranstalten könnte oder wie die Dokumentation des Kurses und der Workshops gewährleistet wäre.
Am darauffolgenden Tag referierte Mustafa Yeneroğlu, stellvertretender Vorsitzender der IGMG über die aktuellen Diskussionen rund um die IGMG. In einem kurzen religionsrechtlichen und -politischen Überblick skizzierte Yeneroğlu zunächst die religionssoziologische Veränderung in der Bundesrepublik. Dann behandelte er die Problematik religionsrechtlicher Modelle und deren Aktualität. Vor dem Hintergrund der gewachsenen religiösen und weltanschaulichen Vielfalt stünde das Verhältnis von Staat und Religion auf dem Prüfstand. Dabei ginge es um Fragen wie; „Sollen anderen Religions- und Weltanschauungen vergleichbare Möglichkeiten der Präsenz wie die beiden Großkirchen im öffentlichen Leben eingeräumt werden? Wenn ja, unter welchen Bedingungen? Oder soll den Staat auf strengere Neutralität achten und die Religionen verstärkt in den privaten Bereich zurückdrängen?“ Yeneroğlu kritisierte, dass verfassungsrechtliche Modelle der Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften auf Muslime nicht angewendet würden.
Sodann ging er zum Thema „šPräventionspolitik gegenüber Muslimen' über: „Während darauf verwiesen wird, dass es hier um die Abgrenzung der Religion vom politischen Missbrauch geht, wird tatsächlich ein „Präventionsansatz“ verfolgt, der Muslime ohne konkreten Anlass als potentiell gefährlich einstuft, um damit Religiosität grundsätzlich als integrationshemmend zu problematisieren und „Präventionsmaßnahmen“ gegenüber ihnen zu rechtfertigen“, so der Jurist und ehemalige Leiter der IGMG-Rechtsabteilung. „Dabei arbeiten die Sicherheitsbehörden mit Vorfeldkonstruktionen und Radikalisierungsszenarien. Die Konturen bleiben aber unbestimmt und abstrakt. Der Mechanismus orientiert sich an der skizzierten Typologie einer „problematischen“ Gesinnung, dem „Extremisten“, dessen Beschreibung und Bekämpfung jedoch auch präventiv erfolgt und sich fiktiver Konstruktionen bedient.“
Nach der Klärung des Begriffs „Islamismus“, der Yeneroğlu zufolge bewusst nicht klar definiert und dementsprechend einem sicherheitsrechtlichen Missbrauch ausgesetzt werde, ging der Referent auf die zunehmende Islamfeindlichkeit in der Gesellschaft ein: „Während uns, den islamischen Religionsgemeinschaften die Immunisierung vor Extremismus eine wichtige Aufgabe ist und wir dies schon aus eigenem Selbstverständnis verfolgen, haben wir uns immer dafür eingesetzt, dass die Bekämpfung des Extremismus als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden wird und insbesondere die zunehmende Islamfeindlichkeit in der Gesellschaft mit Priorität behandelt wird. Dabei wurde und wird seitens des Staates geflissentlich unterdrückt, dass inzwischen ein nicht unerheblicher Teil der Gesellschaft die Integration von Muslimen in Deutschland grundsätzlich in Frage stellt und dies teilweise mit kulturrassistischen Erwägungen begründet.“ Als Beispiel zog er die Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei bezüglich islamfeindlicher Internetportale vom September 2011 heran, in der es heißt, dass „„šstrafrechtlich relevante Äußerungen […] nicht zwangsläufig Ausdruck einer extremistischen und damit zugleich verfassungsschutzrelevanten Bestrebung sein müssen' und der Verfassungsschutz „škein Instrument der Gesinnungsüberwachung' sei.“ Weiter hieß es: „Während sich die Maßnahmen gegen Muslime auschließlich auf Vorfeldkonstruktionen und vorgebliche Radikalisierungsszenarien, nach denen bereits die Stärkung der Religiösität bei Muslimen einen Schritt zur möglichen Radikalisierung darstellen könnte, stützen, sollen im islamfeindlichen Spektrum sogar strafrechtlich relevante rassistische Äußerungen nicht zwangsläufig Ausdruck einer extremistischen Gesinnung sein. So der Standpunkt der Bundesregierung zum islamfeindlichen Internetportal Politically Incorrect (PI). Kurios dabei ist, dass die menschenfeindliche Hetze durch diese Medien als „šAusdruck von Ängsten vor Überfremdung' bezeichnet und damit fast schon legitimiert wird, ohne auch nur deutlich zu machen, dass der Begriff „šÜberfremdung' seit mindestens zwei Jahrhunderten ein zentraler Kampfbegriff des Rechtsextremismus ist.“
Auch ging es um Antisemitismus, welcher Muslimen in Deutschland öfters vorgeworfen wird. Seitens des Verfassungsschutzes hieße es seit Jahren, „dass der Antisemitismus in islamischen Kreisen weiter zunimmt – ohne aber verlässliche quantitative und qualitative Untersuchungsergebnisse zu haben“, kritisierte der der stellvertretende IGMG-Vorsitzende. „Grundproblem dabei ist, dass die Debattengrundlage auf Mutmaßungen und einzelnen Beobachtungen beruht. Dem müssen Politik, Wissenschaft und auch die islamischen Religionsgemeinschaften durch breitangelegte Studien vorerst Abhilfe schaffen.“ Nichtsdestotrotz sei Antisemitismus auch bei muslimischen Jugendlichen festzustellen. Die Frage sei, „wie wir dem Antisemitismus entgegenwirken können„, der „in den seltensten Fällen auf einem festen antisemitischen Weltbild“ basiert, so Yeneroğlu. Vor allem wären „unbestimmte latent vorhandene Ressentiments“ da, „in denen die Juden zumeist als Ursache persönlicher oder gesellschaftlicher Probleme dargestellt werden.“ Dabei unterscheide sich Studien zufolge die kollektive Abwertung von Juden bei muslimischen Jugendlichen nur im geringen Maße vom Antisemitismus unter Deutschen und zeichne im Grunde die auch dort bekannten klassischen Stereotype nach, die die Juden quasi im selben Atemzug als minderwertig und als geheime Macht porträtieren und Juden eine geheime Weltverschwörung unterstellten. Doch speise sich der Antisemitismus in muslimischen Kreisen im Gegensatz zum klassischen Antisemitismus vor allem aus dem Nahostkonflikt. Dabei hätten Muslime die Judenfeindschaft größtenteils aus Europa übernommen, eingeführt mit dem europäischen Nationalismus und seiner Tendenz zur ethnischen Homogenität, dem Kolonialismus und dem klassischen europäischen Antisemitismus, beflügelt durch den Palästinakonflikt. „Dabei muss eine Grenze zwischen der Kritik an Israels jeweiligen Regierungen und antisemitischen Positionen gezogen werden. Selbstverständlich ist es legitim und erforderlich, politische und militärische Handlungen Israels zu kritisieren, die sich auch in Taten etwa in Form von Demonstrationen äußern kann und darf. Dabei wird aber in der Regel vergessen, dass es auch in Israel und unter Angehörigen der jüdischen Religionsgemeinschaft eine kritische Öffentlichkeit gibt, die Missstände wahrnimmt und diskutiert“, unterschied Yeneroğlu und stellte die Frage, „wann berechtigte und notwendige Kritik an der Politik Israels die Grenzen überschreitet und bestimmt Judenfeindschaft ist?“ Würde man auf Grund von Kritik am Vorgehen des israelischen Staates als Antisemit gelten, würde „hier in gewisser Weise entschuldigt – wenn nicht, sogar gebilligt -, dass der Staat Israel von Seiten der Antisemiten als Vertreter des jüdischen Volkes angesehen wird. Zweitens wird impliziert, dass zumindest ein Teil der Schuld bei den Juden“ selbst liegt. Drittens ist es problematisch, dass gerade im Falle Israels, dessen Taten als „jüdisch“ gebrandmarkt werden, obwohl wir diesen Reflex bei anderen Staaten nicht vorfinden.“
Das Thema Antisemitismus rundete Mustafa Yeneroğlu mit folgenden Worten ab: „Ein weiterer Bezug ist die besondere Verantwortung der BRD gegenüber Juden und deren Nachkommen aufgrund der historischen Schuld. Diese besondere Verpflichtung wird auch gegenüber dem Staat Israel wirksam, die in der Rechtfertigung und Verteidigung israelischer Politik mündet. Dabei werden sowohl innerisraelische staatskritische Stimmen als auch deutsch-jüdische Differenzierungen und Distanzierungen von der Politik Israels gegenüber Palästinensern zugunsten einer staatstragenden Position ignoriert und nicht-jüdische, insbesondere „arabische“ oder „muslimische“ Israelkritik oftmals pauschal als antisemitisch diffamiert.„
Nach dem längeren Vortrag des stellvertretenden IGMG-Vorsitzenden hatten die KFÖ-Teilnehmer die Möglichkeit, Fragen zu stellen oder ihre Sicht der Dinge mitzuteilen. (sk)